Living Moments - N°4 Edition 2017

7 www.private-residences.net 7TaTYR 8ZXPY_^ Über Jahrzehnte hinweg war er der Schurke vom Dienst. In »Winnetou I« hat er sogar Ntscho-tschi erschossen, was ihm noch heute verübelt wird. »Schauen Sie mal böse!« heißt deshalb das schmale Erinnerungsbuch des vor 85 Jahren in Zürich geborenen Mario Adorf. Demnächst geht er damit auf eine Lesetour, die ihn am 26. Oktober in die Stuttgarter Liederhalle geführt hat. Dort konnte man sich dann davon überzeugen, dass dieser höfliche, klu- ge, gebildete und vom Alter keines- wegs angekränkelte Mann alles andere als einWiderwart ist. Der große Schau- spieler Mario Adorf ist ein höchst char- manter Gesprächspartner, wie sich beim Interview in Frankfurt gezeigt hat. Herr Adorf, frei raus: ich bewundere Ihre Kunst.Wissen Sie, an welchen Satz Ihres Buchs ich jetzt denke, um nicht in Demut zu erstarren? Nein.Was ist das für ein Satz? Sie schreiben: Wenn man berühmten Zeitgenossen gegenübersteht, müsse man sich vorstellen, dass auch der Papst aufs Klo geht. Ach ja, das hat mir meine Mutter ein- gebläut. Eine hilfreiche Vorstellung, wenn man dazu neigt, jemanden in den Himmel zu heben. Das hat mir sehr geholfen … … unter anderem bei Ihrer ersten Be- gegnung mit Heinz Rühmann. Ja, das war um 1960 herum, bei den Dreharbeiten zu »Mein Schulfreund«, wo Rühmann die Hauptrolle spielte. Zuvor hatte ich einen Film mit ihm ab- gesagt, »Ein Mann geht durch die Wand«. Ich war damals nicht mal drei- ßig, ein Jungschauspieler mit ausge- prägtem Selbstvertrauen, und ich woll- temir vomGroßschauspieler Rühmann nichts bieten lassen. Er hatte angeblich das vertragliche Recht, ihm unliebsa- me Szenen von Kollegen aus den Fil- men schneiden zu lassen. »Mit mir nicht, Herr Rühmann!« – das war mei- ne Haltung, bis es dann doch zu einer ersten, übrigens glücklichen, Zusam- menarbeit gekommen ist. Da hat mir der Papst-Satz sehr geholfen. Haben Sie diesen Satz auch später ge- braucht, um vor Autoritäten nicht ein- zuknicken? Eigentlich nicht. Das Bedürfnis, große und mächtige Leute kennenzulernen, war bei mir nie entwickelt. Weder im Bereich von Film und Theater noch in der Sphäre der Politik – mit einer Aus- nahme: Willy Brandt. Er war, auch auf- grund seines Emigrantenschicksals, ein Vorbild für mich und einer der wenigen Politiker, die ich mögen und bewun- dern konnte. Gibt es heute noch welche, denen Ihre Bewunderung gilt? Kaum. Es gibt einige, die ich achte, dazu gehören Angela Merkel und Frank-Wal- ter Steinmeier, die beide ein enorm be- lastendes Pensum absolvieren. Um ihre kräftezehrende Arbeit beneide ich sie nicht. Wer hat Sie denn während Ihrer lan- gen Karriere als Künstler am stärksten beeindruckt? Fritz Kortner! Er war Schauspieler und Regisseur. Und als er, aus dem amerika- nischen Exil kommend, in München seine großen Regie-Ereignisse schuf, absolvierte ich an der Otto-Falckenberg- Schule gerade meine Schauspielausbil- dung. Das war in den frühen fünfziger Jahren. Ich schwänzte die Schule, ging ins Theater und beobachtete ihn bei den Proben. Sein präziser Umgang mit Texten und Darstellern, seine Regie- konzepte und seine Ungeduld, wenn es nicht so lief, wie er wollte: von Kortner, der als Jude von den Nazis vertrieben worden war, habe ich das Wesentliche für meine spätere Karriere gelernt. Da- neben gab’s aber noch andere wichtige Lehrer für mich, an den Kammerspielen traten ja ganz wunderbare Schauspie- ler auf. Zum Beispiel? Friedrich Domin,Therese Giehse, Hans- Christian Blech, Peter Lühr, auch den alten Hans Moser habe ich noch ken- nengelernt – das waren große Schau- spieler; dazu kamen große Regisseure wie Heinz Hilpert, Rudolf Noelte, Hans Schweikart. Kurz vor seinem Tod kam auch Brecht nach München, um eines seiner Stücke, »Der gute Mensch von Sezuan«, zu inszenieren. Aber da war er, obwohl erst Mitte fünfzig, schon ein kranker, gebrechlicher Mann. Fast alle, die Sie in Ihrem Buch erwäh- nen, sind bereits tot. Nicht nur Ihre Lehrer, sondern auch Ihre damals jun- gen Kollegen leben nicht mehr. Sie sind der letzte Zeuge. Ja, es wird einsam um mich. Sie sind alle nicht mehr da: Maximilian Schell, Hanns Lothar, Gottfried John, Siegfried “When I started my first attempts in the theatre in Zurich I stole like a magpie to get something in my stomach.” Lowitz, Horst Tappert, Rolf Boysen. Vie- le sind auch schon fast vergessen, selbst wenn ihr Spiel auf Konserven festgehalten ist und gelegentlich im Fernsehen gezeigt wird. Vergessen werden: das blüht jedem, auch mir, da habe ich keine Illusionen. Um Schiller zu zitieren: »Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze.« Einspruch. Von Ihnen wird einiges blei- ben. Ich denke gerne an den Nazi-Mit- läufer Alfred Matzerath aus der »Blechtrommel« zurück oder an Herrn Haffenloher, den Sozialaufsteiger aus »Kir Royal«. Das freut mich. Aber es ändert nichts daran, dass von den zweihundert Film- und Fernsehrollen, die Wikipedia bei mir auflistet, schon das allermeiste in der Versenkung verschwunden ist. Fortsetzung Continues

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