Living Moments - N°1 Edition 2013

www.private-residences.net 7TaTYR 8ZXPY_^ 51 D er Geruch von Maschinenöl liegt in der Luft. In Reih und Glied stehen sie zum Ein- satz bereit: historische Guillochiermaschinen. Doch darf man sich von ihrem industriellen Anblick nicht täuschen lassen; Guillochieren ist eine leise Kunst. Herr und Meister dieser Ma- schinen ist Jochen Benzinger, seines Zeichens Graveur und Guillocheur – einer der besten sei- ner Zunft – und der jüngste der wenigen noch praktizierenden Guillocheure weltweit, womit dieses historische Handwerk am Aussterben ist. Beim Guillochieren werden Linienmuster, ge- nannt Fäden, in eine dünne Metalloberfläche geprägt. Die handbetriebene Guillochierma- schine tastet dabei Musterschienen auf einer Reihe von Metallplatten, dem sogenannten Rosettenstock, ab und überträgt das vom Guil- locheur entworfene Muster auf die Metallplat- te. Auch die Goldschmiede fanden sehr schnell Verwendung für diese wundervolle Art der Schmuckveredelung. Ende des 19. Jahrhunderts erlangte die Guillochierkunst Unsterblichkeit, dank Peter Carl Fabergé, damals Hofjuwelier des russischen Zaren Alexander III. Fabergé benutz- te die Guilloche als Untergrund für seine be- rühmten Emaille-Arbeiten, die in den nach ihm benannten Fabergé-Eiern weltweite Berühmt- heit erlangten. Heute fertigt Jochen Benzinger die Guilloche für die exklusiven Fabergé-Eier an. Während seiner Graveur-Lehre beim damaligen Obermeister von Pforzheim kam er erstmals in Kontakt mit der Materie. Obwohl das Guillo- cheurhandwerk in der Goldstadt ein eigenstän- diger Beruf war, bestand Benzingers Meister darauf, dass seine Schüler sich auch im Guillo- chieren übten, da dies seit 1961 nicht mehr als Lehrberuf ausgebildet wurde und das Wissen mit den wenigen alten Meistern ausstarb. Ben- zinger schloss seine Graveurlehre mit Bravour ab und brachte sich das Guillochieren in den da- rauffolgenden Jahren weitestgehend selbst bei. 1985 übernahm er eine traditionsreiche Werk- statt in Pforzheim, die sich seit 1857 auch einen hervorragenden Namen als Guillochierwerk- stätte erworben hatte. Nebenbei restauriert er antike Guillochiermaschinen. W omit wir beim Thema sind. Guillochiermaschine ist nicht gleich Guillochiermaschine. Es gibt grundsätzlich zwei verschiedene Arten: gerade Zugmaschinen, bei denen der Rosettenstock aus geraden Metallplatten besteht, und Rundzug- maschinen mit – wie bereits der Name verrät – runden Rosetten. Rosetten nennt man die Me- tallplatten, mit deren Hilfe das Muster auf das Werkstück übertragen wird. Jede Maschine ver- fügt über zehn Rosetten, die mit unterschiedlich fein gekörnten Rillen versehen sind. Die Kombi- nation der verschiedenen Rosetten erlaubt be- liebig viele unterschiedliche Guilloche-Muster. Mit den geraden Zugmaschinen werden kurze Fäden geprägt, wohingegen die Rundzugma- schinen endlose Fäden produzieren. Die ältes- te Maschine, die in Benzingers Werkstatt ihren Dienst verrichtet, datiert um 1870, die neueste stammt aus den 1940er-Jahren. H eute steht die Veredelung einer Uhr an, sprich Zifferblatt und diverse Teile des Uhr- werks. Alles beginnt mit einem unveredelten Uhrwerk, das Benzingers Uhrmachermeister bereits komplett in sämtliche Einzelteile zer- legt hat, die nun fein säuberlich geordnet in kleinen Plastikkästchen auf ihre Bearbeitung warten. Um die Werkstücke unverrutschbar zu fixieren, verwendet Benzinger Gravierkitt. Auf der Gravierkugel flexibel gelagert, werden die angezeichneten Ornamente nun mit einem Sti- chel von Hand in dasWerkstück eingeschnitten. Jochen Benzinger zeichnet mit ruhiger Hand die Muster an, bevor er sie dauerhaft einritzt. Jeder Schnitt will wohlüberlegt sein – ein ein- Jochen Benzinger hat dem Guillochierhandwerk neues Leben eingehaucht und dieserwundervollen Kunst einige kostbare Jahrzehnte geschenkt. Feines Handwerk: Jochen Benzinger bei der Arbeit an einer gut 100 Jahre alten Guillochiermaschine Fine craft; Jochen Benzinger working at a nearly one-hundred- year-old rose engine machine

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